Journal

In diesem sukzessiv entstehenden Arbeitsjournal dokumentieren die Teilnehmenden Arbeitsschritte, Arbeitsprozesse und Resultate der jeweiligen Projektstunden,  sodass am Ende ein Eindruck von Schaffensprozess und -kontext entsteht.



Während der nicht dokumentierten Termine arbeiten wir an Texten,
schreiben oder besprechen bevorstehende Veranstaltungen.






 

 

03.05.2010

Mit einem Spaziergang über den jüdischen Friedhof begann alles ...

Für unsere heutige Sitzung hatten wir ganz besonderen Besuch eingeladen: Den Historiker und ehemaligen Lehrer (Albert-Einstein-Gymnasium in Hameln) Bernhard Gelderblom. Herr Gelderblom hat seit nunmehr über 25 Jahre die Geschichte der Juden in und um Hameln erforscht und was er uns zu erzählen hatte, war somit besonders interessant.

Sein Interesse speziell an diesem Thema entstand während eines Spaziergangs auf dem jüdischen Friedhof in Hameln. Da es seit der NS-Zeit keine Juden mehr in Hameln gab und sich auch sonst niemand um den Friedhof kümmerte, war er in einem schlechten Zustand. Herr Gelderblom selbst beschrieb ihn als einen „vergessenen Ort“.

Die ersten Grabsteine dort sind im Jahre 1741 aufgestellt worden – ausnahmslos alle waren aber ziemlich mitgenommen, zahlreiche in der NS-Zeit sogar komplett zerstört worden. Herr Gelderblom setzte sich für eine bessere Pflege des Ortes ein. Er selbst veranstaltete Führungen über den Friedhof.

Die Namen auf den Grabsteinen inspirierten ihn zu weiteren Nachforschungen und so begann er 1985, Einzelschicksale zu recherchieren. Die Nachforschungen gestalteten sich schwierig, da es kompliziert war, an die benötigten Akten heranzukommen. Die Arbeit bedurfte einer gewissen Beharrlichkeit, um erste Erfolge verzeichnen zu können.

Noch wichtiger als die Suche nach Akten waren für ihn Kontakte zu den ehemaligen Hamelner jüdischen Bürgern. So erzählte uns Herr Gelderblom vom Schicksal eines Mädchens. Wir sahen ein auf Leinwand projiziertes Foto von ihr und weiteren Juden – ein Klassenfoto zusammen mit ihrem Lehrer. Alle diese Kinder konnten entkommen, auch Ruth Bienheim. Sie war 8 Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. Ihr Vater war Rechtsanwalt und hatte bald unter der Diskriminierung und dem Boykott der Nazis zu leiden. Schlussendlich war er arbeitslos. Viele Juden waren zu dem Zeitpunkt bereits ausgewandert und so hatte Ruth kaum noch jüdische Mitschüler. Dieser Umstand trieb sie bald in die Isolation. Als ihre Klasse einen Badeausflug machte und sie mitkommen musste, wurde klar, dass Baden für sie keinen Spaß mehr machen sollte: Eine ihrer Mitschülerinnen rief, dass alle aus dem Wasser kommen müssten, da eine Jüdin im Wasser schwömme. Kein Kino, kein Baden in einer Badeanstalt – eigentlich war ihr nichts mehr erlaubt, was Spaß hätte machen können.

So wanderte Ruth 1938 schließlich mit ihren Eltern nach Palästina aus – kurz bevor in Deutschland die Synagogen angezündet wurden. Im Gegensatz zu ihrem Vater lebte sie sich den Umständen entsprechend gut ein und wohnt auch heute noch in Israel, wo Herr Gelderblom sie ausfindig gemacht hatte.

Ruth Birnbaum teilt ein ähnliches Schicksal: auch sie war auf dem Klassenfoto von damals zu sehen; auch sie floh schlussendlich in das heutige Israel. Mit 15 Jahren war sie nach Holland gegangen, wo sie ein Ausbildungslager für landwirtschaftliche Arbeiten besuchte, um die Genehmigung zu bekommen, nach Palästina einreisen zu können. Sie war nach Palästina ohne ihre Eltern geflohen und bekam nur noch Nachrichten von ihnen anhand von Briefen, die über das Rote Kreuz geschickt wurden. Über diese Briefe erfuhr sie auch, dass ihre Mutter sich wegen der Verfolgung das Leben genommen hatte und dass ihr Vater in das Warschauer Ghetto deportiert worden war, wo er letztlich umgekommen ist.

Susanne Herzberg hat wieder eine andere Geschichte: Sie wurde 1928 geboren. Ihren Vater lernten wir als stolzen Sanitätsarzt im ersten Weltkrieg kennen. Als Arzt praktizierte er auch später noch, bis der Boykott der Nazis auch ihn erreichte. Eine gute bürgerliche deutsche Familie verlor so jegliches Ansehen. Dies erreichte einen Höhepunkt, als Gerüchte über den Vater gebracht wurden, er hätte Frauen in seiner Arztpraxis vergewaltigt. Schlussendlich floh die Familie nach Berlin, aber auch hier konnte der Vater nicht länger praktizieren: er war ja ein Jude. Weiter ging es nach Italien, wo sich die Familie trennte: Die Tochter Susanne ging nach Holland, die Eltern flohen nach Frankreich. Doch auch hier gelang es ihnen nicht, zur Ruhe zu kommen. So flohen sie gemeinsam nach Brasilien, wo Susannes Vater starb. Die Mutter zerbrach seelisch an diesem Ereignis und so musste die Tochter ihre Mutter so gut es ging unterstützen. In ihren Briefen an Herrn Gelderblom beschreibt sie ein ständiges Grundempfinden von Angst, das Bestreben nicht aufzufallen und toleriert zu werden. Susanne Herzberg ist Sozialarbeiterin geworden; sie will anderen helfen – was sich aus ihrer Biografie erklären mag.

Herr Gelderblom hat mehr als einmal betont, wie ungeheuerlich er es empfindet, dass Kinder auf der Welt existierten, die deportiert wurden, ohne ihre Spuren zu hinterlassen.

So war es zum Beispiel mit Hannelore Zeckendorf. In dem Dorf Hemmendorf bei Hameln, in dem sie gelebt hatte, wurde sie als immer fröhlich und nett beschrieben. Sie lebte dort in einem Haus, das ihre Familie seit gut 200 Jahren bewohnt hatte. Doch um 1938 verliert sich bereits ihre Spur. Bekannt ist, dass ihr Vater während der Pogromnacht, wie viele andere jüdische Männer, nach Buchenwald gebracht wurde, wo er letztlich an den Prügelattacken starb. Des Weiteren ist bekannt, dass Hannelores Mutter 1940 nach Hannover ging, um dem dörflichen Naziterror zu entgehen. Doch bald kehrte sie zurück und ging schließlich nach Göttingen. 1942 wurde sie von dort gemeinsam mit ihrer Tochter deportiert. Wo Hannelore aber in der Zwischenzeit war, ist ungewiss. Wahrscheinlich war sie 1942 bei einer Tante in Köln, um die Flucht vorzubereiten, jedoch vergebens.

Ein ähnlich trauriges Schicksal erlitt Ingrid Friedheim. Ihre Mutter Sofie war Näherin. Sie hatte sich vermutlich taufen lassen, jedenfalls sehen wir die Familie Ingrids auf einem Foto: Sie feiern Weihnachten. So oder so hatte die Familie jüdische Vorfahren und so wurde auch sie von den NS-Leuten schikaniert. Am 14.11.1936 kommt Ingrid zur Welt. Sie hat es doppelt schwer: Neben den jüdischen Vorfahren, die sie hat, ist sie auch noch die uneheliche Tochter eines Ariers. Dieser lässt Ingrids Mutter natürlich sitzen. Er wollte sich ja nicht mit einer Jüdin einlassen. Und so stand Sofie allein mit ihrer Tochter da. Schließlich heiratete sie einen Mann, der ein ähnliches Schicksal teilte: Er war auch Jude und Vater. Die Familie wurde bald nach Hannover-Ahlem gebracht. Acht Monate verbrachte sie dort, gefangen unter den schändlichsten Umständen. Danach wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo die Männer arbeiten mussten und die Frauen sofort umgebracht wurden.

Herr Gelderblom zeigte uns noch zwei Bilder eines von einem Künstler gestalteten Mahnmals am Bahnhof Grunewald in Berlin zum Gedenken an die mehr als 50.000 Juden Berlins, die von dort in Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden. Die Fotos zeigen die Abdrücke gleichsam einbetonierter Menschen, die allmählich kleiner werden, sich aufzulösen scheinen. Sie verschwinden, hinterlassen keine Spuren.

Wir hatten noch ein wenig Gelegenheit, mit Herrn Gelderblom zu sprechen und so kamen wir bald auf das Thema, wie Juden systematisch schikaniert wurden. In der NS-Zeit waren Juden gezwungen, ihre Angehörigen nur noch ohne Särge und ohne Grabsteine zu beerdigen. Niemand wollte mehr etwas für Juden herstellen, niemand wollte ihnen helfen. Dabei war nie eindeutig, ob es sich um Antisemiten handelte oder ob die Menschen einfach Angst vor Bestrafung hatten.

Wir fragten Herrn Gelderblom, ob er während seiner Arbeit auf Widerstand gestoßen sei und so sind wir in die Thematik eingestiegen, dass viele Menschen versuchen, die Zeit des Nationalsozialismus zu verdrängen. Fünf Jahre hat es gedauert, bis Herr Gelderblom erreichen konnte, dass eine Gedenktafel am ehemaligen Hamelner Zuchthaus (das heute übrigens düstererweise ein Hotel ist) aufgestellt wird.

Die Geschichte dieses Zuchthauses, in dem vor allem politische Häftlinge, Homosexuelle und Rundfunkverbrecher festgehalten wurden, brachte uns auf die Geschichte der Zwangsarbeiterin Maria Sabliwaja. Sie war 15 Jahre alt, als sie auf Grund ihrer ukrainischen Herkunft deportiert wurde. Herr Gelderblom konnte mit ihr Kontakt aufnehmen. Sie ist in die Nähe ihres Geburtsdorfes zurückgekehrt und arbeitet nun dort zusammen mit ihrer Familie. Mit Hilfen von Spenden, die vor allem von Firmen kamen, die einmal selbst Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, holte Herr Gelderblom Maria und andere Frauen aus der Ukraine zurück nach Hameln, an den Ort, an dem sie viele Jahre ihres Lebens verbringen musste.

Es ist unfassbar, was für Einzelschicksale sich hinter dem großen Begriff des Nationalsozialismus verbergen. Herr Gelderblom hat viele dieser Einzelschicksale für die Nachwelt wieder lebendig werden lassen.

Ich kann mich nur noch mal im Namen aller Projektteilnehmer auf diesem Weg herzlich bedanken.


Anne Voß

Wir danken Herrn Gelderblom für das Gegenlesen des Berichts!

Zu dieser Veranstaltung finden sich in der Fotogalerie einige Aufnahmen.




05.03.-07.03.2010

Jazz(-Underground) und Politik in Berlin

Unser Projekttreffen am vergangenen Montag (8.3.2010) war anders als die bisherigen: Auf einer großen Leinwand sahen wir eine Diashow; Jazzmusik von Coco Schumann tönte aus den Lautsprechern. In entspannter Atmosphäre sahen wir uns die Fotos von unserem Wochenend-Workshop an, der unter dem Motto "Widerstand und Zivilcourage – gestern und heute" vom 5.3. - 7.3.2010 in Berlin stattfand.

Wer ist Coco Schumann? Dieser Frage gingen die Projektteilnehmer im Learning Centers des Jüdischen Museums in der Lindenstraße nach.

Zu zweit oder zu dritt saßen die Schüler vor den Bildschirmen und erarbeiteten die Lebensgeschichte des Jazzgitarristen Coco Schumann von den Anfängen im Berlin der 20er Jahre bis heute. Die interaktive Arbeit am Computer ermöglichte den Teilnehmern, die überzeugende multimediale Informationspräsentation zu nutzen: Die Schüler füllten einen Fragebogen über das Leben Schumanns aus und erfassten auf diesem Weg die Entwicklung des Nationalsozialismus von den Anfängen mit den Vorschriften und Verboten, die bald alle Lebensbereiche reglementierten, bis zur Befreiung 1945.

Die anschließende Führung "Überleben mit Musik" beinhaltete auch ein Gespräch mit Interpretationen über das Libeskind-Gebäude.

Das Jüdische Museum war für viele sicher eines der beeindruckendsten Erlebnisse an diesem Wochenende.

Spannend empfanden viele Schüler auch die Sitzung im Plenarsaal des Bundestags, den wir gleich nach unserer Ankunft am Freitagmorgen ansteuerten. Die aktuelle Debatte um Hartz IV wurde hitzig weitergeführt.

In den Bundestag eingeladen hatte uns der Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Miersch, der unser Projekt unterstützt und durch seine Einladung die Fahrt nach Berlin ermöglichte.

Im Besucherraum des Reichstages sprach Dr. Miersch mit uns über das Projekt und zog den Bogen zur heutigen Politik; er gab uns Einblicke in seine Arbeit und seine Auffassung von Politik. Eine interessante Diskussion entstand.

Die anschließende Besichtigung der Reichstagskuppel war in zweifacher Hinsicht ein besonderes Erlebnis: Die beeindruckende Architektur der gläsernen Kuppel mit ihrer Stahlskelett-Konstruktion und der Blick auf Berlin aus der Vogelperspektive.

Mit einer lebhaften Diskussion über Zivilcourage in der Friedrich-Ebert-Stiftung am Abend endete der erste Tag.

Weitere Besichtigungen und Führungen standen auf dem Programm: das Holocaust-Mahnmal unweit vom Brandenburger Tor und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand.


Corinna Luedtke

 



Gruppenbild mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Matthias Miersch (3.v.r.)

 


Wie die Schüler unseren Workshop empfanden und was ihnen wichtig war, haben sie während der Rückfahrt nach Hannover festgehalten:


Carolin (18), Julia (13) und Svenja (18):

Für uns war das Wochenende in Berlin weitaus mehr als Shopping und Party. Einfach gesagt, wir sind ins heutige Geschehen und in ein Stück deutsche Vergangenheit eingetaucht. Besonders beeindruckt hat uns die Vielfalt von Möglichkeiten, Geschichte darzustellen, z.B. der Garten des Jüdischen Museums. Auch die Gründlichkeit war in unserer Hauptstadt allgegenwärtig: Wir verbrachten viel Zeit damit, unsere Mäntel an- und auszuziehen sowie Taschen und uns selbst durchleuchten zu lassen. Die Menge an Sicherheitskontrollen in vielen öffentlichen Gebäuden war uns in diesem Ausmaß nicht bekannt. Alles in Allem konnten wir, vor allem Dank des sehr gut geplanten Programms (Kompliment an Frau Luedtke) eine Vielzahl von Eindrücken für unser Projekt gewinnen - und hatten dabei viel Spaß.


Anne (16):

Mir hat das Wochenende in Berlin sehr viel gebracht. Ich wurde öfter durch diverse Sicherheitskontrollen geschickt, als in meinem ganzen bisherigen Leben. Das zeigt so viel Misstrauen zwischen den Menschen und eigentlich (egal, ob berechtigt oder nicht) sollte die Botschaft doch eine andere sein.

Courage und Widerstand waren für mich schon immer sehr zentrale Begriffe, denn ich habe selbst erfahren wie es ist, wenn man allein da steht und wie das Menschen brechen kann. Genau deswegen sollte es mehr Projekte wie das unsere geben - solange bis ALLE Folgendes verstanden haben: Es ist wichtig, dass auch DU hinschaust und für DEINE Überzeugungen eintrittst.


Marius (17), Björn (19), Daniel (19), Lara (19), Annalena (19):

Das Wochenende in Berlin hat uns gezeigt, dass wir nicht vergessen.

Schon im Bundestag haben wir uns als Gruppe Gedanken gemacht und diese mit Matthias Miersch austauschen können - sei es über Politik, unser Projekt oder andere Fragen, die uns auf dem Herzen lagen. Vor allem aber der Besuch im Jüdischen Museum hat uns eine spannende Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem jüdischen Hintergrund geliefert.

Wir haben Berlin als Stadt genossen, aber nicht vergessen, dass Berlin als Hauptstadt zwischen 1933 bis 1945 Schauplatz der nationalsozialistischen Politik und dessen menschenverachtender Vorgehensweise war.


Efi (19) und Dimitra (16):

Das Berlin-Wochenende war für uns ein Erfolg, da wir viele neue Eindrücke gewonnen haben.

Durch das Gespräch mit Matthias Miersch konnten wir das Projekt vertiefen und engeren Kontakt zu ihm knüpfen. Das jüdische Museum hat uns sehr beeindruckt, denn wir konnten einen tiefgründigen Einblick in das Leben der Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewinnen. Das Thema des Workshops war hochinteressant und wir konnten so neues Wissen erlangen.

Das Wochenende verhalf uns zur Erweiterung unseres Bildungshorizontes und hat uns unvergessliche Momente erleben lassen.



 

„Damals wussten wir noch nicht, was Auschwitz ist“

Zeitzeugengespräch mit Henry Korman am 22.02.2010

Heute hatten wir erneut Besuch von den Herren Henry Korman und Salomon Finkelstein – das lang erwartete Zeitzeugengespräch mit Henry Korman stand auf unserem Terminkalender.

Henry Korman wurde am 30. März 1920 in der polnischen Stadt Radom geboren, rund 100 km südlich von Warschau, deren Population 90.000 Menschen betrug. 30. 000 Juden lebten in dieser Stadt.  „Schön“ und „kulturell“, so hat Henry Korman die Stadt in Erinnerung, bevor der Krieg ausbrach.

„ Es war eine Industriestadt mit vielen Fabriken, die Eisen, Leder und Keramik produzierten“, erzählt Herr Korman. Juden und Polen haben in den Fabriken zusammen gearbeitet. „Trotz großer Armut war das Leben schön“.

Henry Korman besuchte damals das jüdische Gymnasium, welches den hebräischen Namen, übersetzt: „ Freunde des Wissens“ trug. Dort hatte er die Möglichkeit Polnisch, Hebräisch, Deutsch, Englisch und Französisch zu lernen, wobei Polnisch und Hebräisch die Hauptsprachen waren. Im Jahre 1939 erlangte er sein Abitur mit dem Wunsch, Medizin zu studieren oder Ingenieur zu werden.  Doch der Numerus Clausus  erlaubte nur 2 Juden auf 100 Polen ein Studium. Die Juden  durften zwar nicht Mediziner und Ingenieure sein, aber es war für sie möglich, ein Jura- oder Lehramtstudium zu absolvieren.  Später galt der Numerus Nullus für Medizin und Ingenieurwesen sowie für weitere Studiengänge. Die Idee, im Ausland zu studieren, kam hoch.
Jedoch brach am 1. September 1939 der Krieg aus. Polen wurde nach und nach von der deutschen Wehrmacht eingenommen. Ein Studium war dann nicht mehr möglich.

Gegen Mittag des 5. September trafen die Bomben einen Teil des Hauses der Familie Korman. 30 Einwohner starben im Bombenhagel und viele Menschen wurden verwundet. Herrn Kormans Familie hat den Angriff überlebt.

Die Wehrmacht und die Militärpolizei (Schupos) plünderten die Geschäfte.

Zwei Tage später folgten  SS und SD. Die grausamen Schikanen gegen Juden begannen. Eine schreckliche Tat zum Beispiel war das Anzünden oder Kahlscheren von Bärten älterer orthodoxer Juden. Die SS demütigte die Juden. Sie holten sie aus dem Jüdischen Viertel und zwangen sie zur Arbeit, verbunden mit unterschiedlichen Schikanen, Schlägen usw.

Die Besatzer verhängten Verbote über die Juden. Gesetzte und Erlasse regelten das alltägliche Leben.

So durften die Juden nicht auf dem Bürgersteig gehen, sich nicht auf eine Parkbank setzen und mussten vor der SS den Hut abnehmen. Im Frühjahr 1941 wurde die Errichtung eines Ghettos angeordnet. Zwei Ghettos, ein großes im Stadtzentrum und ein kleines im Vorort
Glinice. „Die Juden mussten ihre Wohnungen auf Befehl der SS verlassen. Damals wussten wir noch nicht, was Auschwitz ist“, sagt Henry Korman.

Die Internierung der jüdischen Bevölkerung war bis zum 7. April 1941 abgeschlossen. Vor dem Krieg lebten in Radom 30.000 Juden, rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

Bereits vor der Ghettoisierung wurde von den deutschen Behörden ein Judenrat eingesetzt. Im Ghetto wurde ein Komitee mit Vorsitzenden gewählt. Es gab verschiedene Ämter, wie Polizei, Arbeit, Gesundheit. Henry Korman arbeitete im Gesundheitsamt.

Zu den täglichen Schikanen der SS gehörte es, Menschen aus dem Ghetto zu holen und zu Arbeiten zu zwingen, oft unter schweren Misshandlungen. Die Männer wurden in bewachte Arbeitslager in der Nähe von Radom geholt, dort mussten sie für die Kriegsindustrie arbeiten. Der Judenrat wirkte dem entgegen, indem ein Arbeitsamt im Ghetto eingerichtet wurde. Freiwilligen konnte so Arbeit vermittelt werden, die, wenn auch nur geringfügig, bezahlt wurde. Dennoch bot diese Neuerung keinen absoluten Schutz. Die Menschen waren der Willkür der SS weiterhin ausgeliefert. Sie wurden geschlagen, und manchmal kamen sie abends von der Arbeit zurück und verbluteten an ihren Verletzungen.

Schulen gab es im Ghetto nicht, denn Juden war es verboten zu lernen. Hinter verschlossenen Türen wurde den Kindern jedoch Privatunterricht erteilt. Intellektuelle wurden in einer Reihe von „Aktionen“ der Gestapo ergriffen, auf der Stelle erschossen oder nach Auschwitz deportiert.

Die Verpflegung im Ghetto wurde anfangs von der SS in kleinen Mengen zugeteilt, doch schon bald wurde diese knapp. Die Todesrate, durch Hunger und Seuchen bedingt, war hoch. „Die Menschen litten an Armut und Hunger. Sie lagen sterbend auf der Straße. Um überleben zu können, haben wir abends etwas von draußen hereingeschmuggelt.“

Die Bewohner durften nach einer Verordnung das Ghetto nicht mehr verlassen, außer sie besaßen einen Passierschein oder gehörten zu den Arbeitskolonnen, die außerhalb des Ghettos eingesetzt wurden. Die Ausgangssperre war klar definiert: Ab 17 Uhr musste man sich wieder im Ghetto in den Wohnungen befinden. „Es war verboten, sich nach 17 Uhr auf den Straßen aufzuhalten. War noch jemand draußen, wurde er erschossen oder erschlagen. Die SS lief herum und suchte sich Opfer. Wenn morgens jemand tot auf der Straße lag, spielte dies keine Rolle.“

Da Henry Korman für das Amt „Fürsorge – Wohlfahrt“ im Resort Gesundheit arbeitete, konnte er sich mit seinem Ausweis und einer speziellen Armbinde auch außerhalb des Ghettos frei bewegen. Aber auch für ihn galt die Regel, bis 17 Uhr wieder im Ghetto zurück sein zu müssen und seinen Ausweis der Wache vorzuzeigen.

Trotzdem nahm er sich in Acht vor der SS aus Angst vor Misshandlungen und versteckte sich, sobald er sie bemerkte.

Der Judenrat war auch verantwortlich für die Essensversorgung, er musste die Unterbringung von Neuzugängen organisieren und regelte auch die Aufstellung einer Ghetto-Polizei („jüdischer Ordnungsdienst“).

Henry Korman wurde eine Stelle als „jüdischer Polizist“ angeboten, doch er lehnte ab mit der Begründung, dass er schließlich schon für die Fürsorge arbeitete.

Am 19. Juli 1942 erteilte Heinrich Himmler den Befehl, alle Juden im Generalgouvernement zu eliminieren. Bis zum 31. Dezember 1942 sollte es keine Juden mehr geben außerhalb der Ghettos von Radom, Warschau, Krakau, Lublin und Czestochowa. So wurden diese Ghettos kraft Gesetzes zu Sammellagern, was in der Folge den Weg in die KZs bedeutete.

Im Juli 1942 wurde die Verwaltungsleitung des großen Ghettos deportiert und gegen eine neue ausgetauscht.

Für Henry Korman war das der Zeitpunkt, die Arbeit im Gesundheitsamt aufzugeben und sich freiwillig für die Arbeit in der Rüstungsindustrie zu melden.

In der Waffenfabrik wurde er unter Bewachung ausgebildet. An speziellen Maschinen fertigte er Patronenkammern für Gewehre her. Zwölf Stunden dauerte sein Arbeitstag. Die Arbeit erfolgte in Wechselschicht. In der einen Stunde Pause gab es eine Kelle Suppe.

Bis kurz vor der Liquidierung der beiden Ghettos konnte Henry Korman im Ghetto mit seiner Familie zusammenwohnen.

Am 5.August 1942 gegen 5 Uhr morgens ertönten Schüsse und Schreie. Henry Korman und seine Familie wurden aus ihrer Wohnungen herausgejagt. Auf der Straße erwartete sie ein furchtbares Chaos: Vier bis fünf Straßen waren abgeriegelt und die Bewohner auf die Straßen befohlen worden.

Bei der Aufteilung der Menschenmasse verlor Henry Korman seine Eltern und drei seiner Schwestern, die vierte Schwester Goldi hatte ihn entdeckt und war zu ihm gelaufen. Über die verlorengegangenen Familienmitglieder sagt Herr Korman: „Ich habe sie zum letzten Mal im Laufen gesehen. Sie sind verschwunden. Meine Mutter wurde wahrscheinlich erschossen, da sie nicht so schnell laufen konnte.“

Etwa 2000 Menschen waren an diesem Morgen aus dem großen Ghetto zum Bahnhof getrieben worden. Viele wurden auf dem Weg dorthin erschossen. Die anderen wurden in geschlossene Waggons gepfercht und, wie Henry Korman später erfuhr, nach Treblinka deportiert.

Henry Korman und seine Schwester konnten der Deportation entgehen, indem sie sich in die Waffenfabrik gerettet hatten. Sie schliefen auf dem Boden auf Stroh.

Erst in der Waffenfabrik erfuhr Henry Korman, dass auch das kleine Ghetto geräumt worden war. Einige Stunden vor der Räumung der Straßenzüge im großen Ghetto, um 2 Uhr morgens, war es „liquidiert" worden. Wie Herr Korman hörte, war die SS dort besonders hart vorgegangen: „Die SS riss die Kinder von ihren Müttern weg, warf kleine Babys an die Wand und Menschen, die noch im Bett lagen oder zu langsam liefen, wurden erschossen. Für sie war es ein Sport“. Herr Korman bezeichnet die „Liquidation“ als Massaker.

In der Waffenfabrik bekam Henry Korman eine Stelle zugewiesen, er musste wieder Patronenkammern für Gewehre herstellen. Seine Schwester Goldi arbeitete als Kartoffelschälerin. „Das war eine harte Arbeit unter Bewachung ukrainischer und SS-Bewachung.“

Wenn sich die Zwangsarbeiter am Abend zum Schlafen auf den Boden legten, führten sie Gespräche, weinten um ihre Familienmitglieder, die sie verloren hatten und ahnten, dass sie sie niemals wiedersehen würden. So ging es bis zum 15. August.

Ein SS-Leiter brachte Herrn Korman, seine Schwester und weitere Juden in ihre alten Wohnungen im Ghetto, damit sie ihre persönlichen Sachen holen konnten. Anschließend wurden sie zurück in die Waffenfabrik gebracht. In ihre Wohnungen durften sie nicht zurückkehren.

Gleich am nächsten Tag, dem 16. August, wurde mit der Räumung des großen Ghettos begonnen. Zunächst wurde der südliche Teil „liquidiert“, dann der nördliche. Zwischen 1000 – 1500 Ghettobewohner, die sich zu verstecken versuchten oder Widerstand leisteten, wurden sofort erschossen. Die jüdische Polizei musste später alle Toten sammeln und sie in einem Garten begraben. Am 18. August war die Aussiedlung abgeschlossen.

Bei der Vernichtung des großen Ghettos waren etwa 2000 Menschen übriggeblieben, sie wurden zu Zwangsarbeiten am Ort bestimmt. Auf dem Gelände der aufgelösten Ghettos errichtete man über vier bis fünf Straßen verteilt, Arbeitslager, in denen die Menschen untergebracht wurden.

Henry Korman und seine Schwester wurden einer Gruppe zugeteilt, die in der Waffenfabrik arbeiten mussten. Wie sich herausstellte, gab es verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen.

Schon bald war es Herrn Korman nicht mehr möglich, die schwere Arbeit zu verrichten, obwohl Henry von seinem vorgesetzten Ingenieur große Anerkennung für seine Arbeit bekommen hatte. Er litt an Hunger und war zu schwach geworden, der harten Beschäftigung weiter nachzugehen.

Er flüchtete von der Waffenfabrik und versteckte sich 3 Wochen lang im Arbeitslager. Er wurde überall gesucht. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte man aufgehört, ihn zu suchen. So konnte er bei Verwandten Unterschlupf finden, während seine Schwester weiterhin in der Waffenfabrik arbeitete. Weil er nicht mehr gesucht wurde, konnte Herr Korman sich relativ frei bewegen und auch wieder arbeiten. Er war in der Keramikherstellung tätig, reaprierte LKWs in der Autoreparaturwerkstatt und stach Torf.

Bevor Herrn Kormans Weg nach Starachowice führte, wurde er Zeuge eines weiteren Verbrechens: Mehr als 150 Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte und Ingenieure wurden mit ihren Frauen und Kindern im März 1943 aus dem Ghetto geholt und auf zwei Lastwagen verladen. Intellektuelle sollten nach Palästina zu ihren Verwandten ausreisen dürfen. Unter diesem Vorwand wurden sie nach Szydłowiec, etwa 30 Kilometer südwestlich von Radom, gefahren. Auf einem jüdischen Friedhof wurden weit über 100 Juden von Ukrainern auf Kommando der Deutschen erschossen. Man weiß bis heute nicht genau, warum die Deutschen plötzlich das Erschießungskommando eingestellt und 30 Juden nach Radom zurückgebracht hatten.

Herrn Kormans Tage in Radom waren gezählt. Eines Morgens vor der Arbeit wurde er mit 150 anderen Juden auf zwei LKWs nach Starachowice, ca. 60-70 km von Radom, gebracht.

Dort arbeitete er für verschiedene Produktionsbetriebe und für die Rüstungsindustrie stellte er Granathülsen für Haubitzen und schwere Artillerie her.

Die Arbeit war körperlich sehr hart. Die Polen, die dort arbeiteten, wurden bezahlt, die Juden haben nichts bekommen.

Herr Korman wurde in einer Baracke untergebracht mit Menschen, die ebenso wie er aus Radom stammten. Es war möglich, sich selbst zu verpflegen und zu kochen.

Als Henry Korman zufällig ein Gespräch zweier Männer aufschnappte, erfuhr er, dass man seine Schwester aus Radom abgeholt hatte. Er musste davon ausgehen, dass Goldi deportiert worden war und er sie möglicherweise nie wiedersehen würde.

In Starachowice erkrankte er an Kopftyphus. Als Besuch vom Lagerkommandanten angekündigt wurde, sprang Herr Korman mit 40 Grad Celsius Fieber aus dem Fenster und versteckte sich, bis der Lagerleiter wieder verschwunden war. Wäre Herr Korman in dem schlechten Zustand entdeckt worden, hätte das seinen sicheren Tod bedeutet.

Als er wieder gesund war, arbeitete er wieder, bis die Russen näherrückten. Das war der Tag, an dem er nach Auschwitz deportiert wurde.

Er saß drei Tage lang im Waggon, zusammengepfercht mit anderen Menschen unter unmenschlichen Bedingungen, ohne sanitäre Einrichtungen, ohne Verpflegung, etliche Menschen starben während des Transportes. 25 Menschen hatten sich während der Fahrt vergiftet und waren im Waggon gestorben.

Der Zug hielt an der alten Rampe in Auschwitz-Birkenau. Gerade angekommen, begann die Selektion. Henry Korman hatte während der Reise von der Hitze eine Entzündung am Bein bekommen, die sich infiziert hatte und sichtbar rot leuchtete. „Rote Flecken bedeckten mein Bein und ich musste nackt vor Mengele treten. Herr Korman hatte eine Idee, die ihm das Leben rettete: „Ich habe meine Hose über meinen Arm gehalten und konnte somit die roten Flecken bedecken. „Wenn man arbeitsfähig war, bekam man gestreifte Häftlingskleidung und eine Nummer in den rechten Unterarm eintätowiert, d. h. man wurde „registriert“ und dann zur Arbeit geschickt. Ohne Nummer wurde man gleich ins Gas geschickt.“

Auschwitz-Birkenau war Vernichtungslager und KZ zugleich. Herr Korman musste verschiedene Lagerarbeiten erledigen. Bis zu 800 Gefangene hausten in den Baracken, deren Konstruktion auf einem Entwurf für Pferdeställe basierte und für die Unterbringung von 52 Pferden angedacht war. Es gab nur wenige sanitäre Anlagen, die zudem primitiv waren. „Nachts lagen die Gefangenen auf dem kalten Steinboden und die Aufseher sind ohne Rücksicht auf sie draufgetreten.“ Die kurzen Schlafenszeiten reichten nicht aus, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen.

Die Häftlinge waren den grausamen Behandlungen der SS-Bewacher und Kapos ausgeliefert. Verstöße gegen die vielen Lagerregeln wurden mit harten Strafen verfolgt. Diese Strafen haben viele Menschen nicht überlebt.

Zu essen gab es wässrige Suppe, ein kleines Stück Brot mit ein wenig Margarine. Die minderwertige und ungenügende Ernährung und die schwere Arbeit, die geleistet werden musste, hatten zur Folge, dass die Menschen stark abmagerten. Bereits nach kurzer Zeit bestanden die Menschen nur noch aus Haut und Knochen. „In den KZs schikanierten die SS-Leute und die Kapos die Juden. Sie behandelten uns wie Aussätzige und wollten uns verhungern lassen und vernichten.“

Ein eigenartiges Erlebnis beschäftigt Herrn Korman heute noch auf besondere Weise: Zusammen mit etwa 200 anderen Juden wurde er an einem Nachmittag gegen 15 Uhr zu einem Gebäude geschickt. Eine Zeit lang mussten sie vor dem Gebäude stehen. Nach einer halben Stunde wurden sie wieder weggeschickt. Später stellte sich heraus, dass dieses Gebäude eine Gaskammer war. Warum die Häftlinge nicht in die Gaskammer kamen, ist nie bekannt geworden.

Nach circa zwei bis drei Wochen musste Herr Korman mit etwa 300 anderen Menschen aus seiner Baracke nach Buna-Monowitz marschieren. Auf dem Platz angekommen, traf er zwei Freunde wieder: den Leiter der Jüdischen Gemeinde in Radom und einen Schulfreund, der den Holocaust überlebte und nach dem Krieg nach Brasilien auswanderte.

Henry Korman sah auf dem Platz drei SS-Leute an einem Tisch sitzen. Sie suchten Tischler, Maler und Elektriker. Herr Korman sagte, er sei Elektriker. Einem älteren Mann empfahl er, zu sagen, er sei Maler. Dieser Mann überlebte und starb später im KZ Hannover-Mühlenberg.

Von Buna-Monowitz wurde Herr Korman mit vielen anderen Häftlingen auf LKWs in eines der Außenlager des KZ Auschwitz, nach Laurahütte, gebracht, um dort Baracken zu bauen.

In Laurahütte hatten die Gefangenen für die Rüstungsfirma Flakgeschütze für Rheinmetall-Borsig hergestellt und setzten diese Arbeit später in Hannover in den Hallen der Lindener Hanomag AG fort.

Ein Beispiel für die tägliche Schikane der Aufseher: Als Henry Korman während der Arbeitszeit die Toilette aufsuchen musste, war diese absichtlich von einem Wachmann abgeschlossen worden. In seiner Not suchte sich Herr Korman einen Platz abseits. Der Wachmann schlug mit seinem Gewehrkolben auf sein Bein, sodass er nicht mehr laufen konnte. Der Meister hatte das gesehen und schrie den Wachmann an: „Wie kannst du meinen besten Mann schlagen!“, und an Henry Korman gewandt, sagte er: „Das nächste Mal kommst du zu mir.“

„Ab April 1944 leitete Quakernack das Nebenlager Laurahütte des KZ Auschwitz III Monowitz. Dieses Lager, eine Gießerei und Berghütte der Königs- und Bismarckhütte A.G, wurde im Januar 1945 im Zuge der Evakuierung des KZ Auschwitz geräumt und die Häftlinge in das Außenlager des KZ Neuengamme Hannover-Mühlenberg überführt. Dort mussten die Häftlinge unter dem Lagerleiter Quakernack bei der Hannoverschen Motoren AG (Hanomag) für die Rheinmetall-Borsig AG Flakgeschütze produzieren. Nach der Räumung dieses Lagers am 6. April 1945 gelangten die Häftlinge unter Quakernack nach einem „Todesmarsch“ am 8. April 1945 in das KZ Bergen-Belsen, welches am 15. April 1945 befreit wurde.“ Quelle: Wikipedia

Henry Kormans Weg vom KZ Laurahütte nach Hannover Mühlenberg führte über das KZ Mauthausen in Österreich und Gusen, einem der vielen Außenlager des KZ Mauthausen. Im KZ Mauthausen und auch im Außenlager Gusen galt das Prinzip der Vernichtung durch Arbeit der KZ-Häftlinge. Henry Korman lebte dort unter schlimmsten Bedingungen.

Von Gusen kam er in das KZ Hannover-Mühlenberg, wo er unter Bewachung der SS mit etwa 500 anderen Gefangenen Flakgeschütze produzieren musste. Auch hier war die Arbeit hart. Herr Korman hat unfassbare Grausamkeiten erlebt, aber er hat auch Menschlichkeit erfahren. Im KZ Mühlenberg flüsterte ein deutscher Arbeiter ihm des Öfteren zu: „Aushalten! Es dauert nicht mehr lange!“ Dieser Mann brachte Herrn Korman mit dem Risiko, hart bestraft zu werden, jeden Tag etwas zu essen mit. Mal ein Brot mit Schinken, ein Stück Käse oder eine Kartoffel.

Das KZ Mühlenberg wurde am 6. April 1945 geräumt. Der Lagerkommandant SS Oberscharführer Walter Quakernack, zuvor Leiter des Außenlagers Laurahütte, wurde nach dem Krieg zum Tode verurteilt und in Hameln hingerichtet.

Vom KZ Mühlenberg aus trat Henry Korman den Todesmarsch nach Bergen- Belsen an, das er am 8. April erreichte. Zahlreiche Gefangene, die schwach und gebrechlich waren, wurden auf dem Weg ermordet.

„Wer nicht gehen konnte oder krank war, wurde erschossen. Ich kam halbtot in Bergen- Belsen an. Das Erste, was wir dort sahen, waren die Toten, die überall auf dem Boden lagen, ganze Berge von Toten.

Die Gefangenen mussten in Baracken leben und bekamen am Tag nur eine Suppe und ein Stückchen Brot.

Bis zur Befreiung am 15. April 1945 war ich fast tot. Ich konnte nicht mehr gehen, essen, sitzen. Das Schlimmste war der Hunger. Selbst Krankheiten waren nicht so schlimm wie der Hunger“, erzählt Henry Korman.

Herr Korman war mittlerweile so geschwächt, dass er sich innerlich vom Leben verabschiedete. Unheilvolle Gedanken quälten ihn in seiner Abschiedsstunde und das Bewusstsein, als Jude Teil der Vernichtungstragödie zu sein, vom Rest der Welt allein gelassen worden zu sein. „Die Welt hatte sich mitschuldig gemacht. Wir blieben allein mit dem Sterben und mit der Vernichtung. Wir litten alleine und kämpften alleine.“

Als gläubiger Jude stellte er Gott die Fragen: „Wo bist du? Warum hast du dein Gesicht versteckt? Die Menschheit hat uns aufgegeben, und du auch? Unzählige Juden wurden vernichtet und du hast es zugelassen.“ Herr Korman konnte im Moment des nahenden Todes kein Kaddisch sprechen, weil er meinte, dass Gott sich abgewendet hätte.

In den scheinbar letzten Minuten seines Lebens sah Herr Korman sich schon zwischen all den Toten liegen. Er hatte aufgegeben, konnte nicht mehr aufstehen. Wie in einem Film zog sein Leben an ihm vorüber, er sah er sein Zuhause, seine Eltern, seine Geschwister. Er fragte sich, warum sich niemand für das Leid der Juden interessierte.

„In dem Augenblick kam mein Freund zu mir und wollte mich zurück ins Leben holen. Er rief voller Freude: „Aufstehen, die Engländer sind hier! Wir sind befreit!“ Doch ich war zu schwach und sagte ungläubig: „Lass mich hier liegen.“

„Nein!“, rief mein Freund und hob mich auf.“

Die Nachricht der Befreiung aktivierte nach und nach Herrn Kormans Lebenswillen.

Später lief er nach draußen auf das Feld, grub drei Kartoffeln aus und spießte sie auf, um sie zu braten. Eine Frau tippte ihm auf die Schulter. Es war seine ehemalige Nachbarin aus der Heimatstadt Radom. Sie sagte ihm, dass seine Schwester Goldi seit drei Jahren in Bergen-Belsen lebte. Auch sie hatte den Naziterror überlebt.

Als Herr Korman später in den Baracken nach Kleidung und Essen suchte, traf er auf grausame Bilder, die er Zeit seines Lebens niemals vergessen wird: „Überall lagen die Toten wie Sardinen übereinander.“

In Bergen-Belsen starben etwa 50.000 KZ-Häftlinge und 20.000 Kriegsgefangene.

Henry Korman gelang es, nach der Befreiung als Kranker nach Schweden zu kommen und dort zu studieren. Später lebte er bei Verwandten in Amerika. Nach Deutschland kam Herr Koran zufällig. Heute lebt er abwechselnd in den USA und in Deutschland.

Die anschließende Fragerunde bot den Projektteilnehmenden die Gelegenheit, den Holocaustüberlebenden Fragen zu stellen, die ihnen auf der Seele brannten:

„Haben Sie damals daran gedacht, sich umzubringen?“

Salomon Finkelstein
:
„Nein! Ich habe nie daran gedacht, mich umzubringen, denn damit hätte ich ihnen einen Gefallen getan. Ich wollte leben. Ich habe davon geträumt, vielleicht noch einmal über eine Blumenwiese zu spazieren, ohne dass die SS hinter mir her ist.  Ich habe nur von Menschlichem geträumt. Ich habe geträumt, einmal im Leben satt zu werden und einem Mädchen den Arm zu streicheln. Ich habe versucht zu überleben. Polen hatten die Möglichkeit, in deutscher Sprache nach Hause zu schreiben. Dafür, dass ich für sie übersetzt habe, bekam ich ein Stück Brot.“

Henry Korman: „Ich hatte keine Zeit, an mich zu denken. Ich wurde von einem Ort zum nächsten getrieben. Nachts, wenn ich auf der Pritsche lag und Zeit zum Nachdenken hatte, bin ich vor Müdigkeit und Hunger eingeschlafen.“

„Konnten Sie nach dem Krieg ein normales Leben führen?“

Salomon Finkelstein:
„Bis heute lebe ich nicht normal. Ich funktioniere nicht richtig. Sechs Jahre unter Bewaffnung geraten nicht so leicht in Vergessenheit, das bleibt hängen. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen. Noch Monate nach dem Krieg und der Befreiung habe ich mich umgedreht, um zu sehen, ob jemand da ist mit einer Waffe und mich verfolgt. Wenn ich heutzutage höre, dass sich jemand selbst in die Luft sprengt, empfinde ich kein Mitleid, denn als wir damals im Dreck lagen und vor Hunger starben, hat sich niemand für uns eingesetzt, sich um uns gekümmert. Wir haben jede Sekunde den Tod gesehen. Wir waren verdammt zum Leben und zum Sterben.“

Wir sind den beiden Herren Korman und Finkelstein sehr dankbar, dass sie mit uns ihre Erinnerungen teilten und uns an ihrem Leben und Leiden teilhaben ließen. Ihre Erzählungen sind für uns sehr wertvoll, viele der qualvollen Erlebnisse fließen als Motive in unsere Texte ein. Wir freuen uns über jeden Besuch der Herren in unserer Schreibwerkstatt und auch außerhalb der Schule, da es durch sie möglich ist, die Geschichte „lebendig“ zu erfahren.

Efi Dermitzaki und Corinna Luedtke

Wir danken Henry Korman herzlich für das Gegenlesen dieses Berichtes, für Korrekturen und für zahlreiche Ergänzungen.





Eindrücke, Impulse und Resultate zum Besuch der Mahn- und Gedenkstätte Ahlem in Hannover  im Rahmen des Wochenendworkshops am 9./10.1.2010

„Judentum in Hannover – eine lokale Spurensuche“

Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Niedersachsen im Rahmen des Projektes „Schreiben gegen das Vergessen“ in Kooperation mit der Projektleiterin Corinna Luedtke


Anhand der nachstehenden Leitgedanken reflektierten die Teilnehmenden vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und als Vertiefung des Erlebten in den nachfolgenden Berichten ihre Eindrücke und Gedanken zur ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem.

Leitgedanken:

Ø  Wandel in der Stätte
               Hoffnungsvoll -> tragisch gewendet

Ø  Wahrnehmung eines schrecklichen Ortes

Ø  Regionaler Bezug weist auf die Geschichte der Vernichtung
              (auch vor unserer Haustür)

 

Bericht von Joshua,  Sumera und  Magdalena

Zuallererst lässt sich sagen, dass für uns der Besuch der Gedenkstätte Ahlem eine neue Erfahrung war, die für uns sehr interessant war, aber uns auch nachdenklich gemacht hat.
Wir konnten uns in die Situation der Juden, gerade der Juden, die in der Gartenbauschule   gelehrt wurden, hineinversetzen.
Die Pläne, die Träume und die Hoffnung, die die Juden hatten, wurden alle vom Nationalsozialismus zerstört.
Es ist für uns schwierig, sich vorzustellen, dass der Terror der Nationalsozialisten auch vor unserer Haustür stattgefunden hat. Die Juden konnten auch nicht glauben, dass aus einem zivilisierten und aufgeklärten Land wie Deutschland ein antisemitischer Staat entstehen würde. Aus diesem Grund sahen viele Juden keinen Grund Deutschland zu verlassen, da sie auch keine großen Alternativen hatten, wohin  sie auswandern hätten können.
Zudem fühlten sich viele Juden als Deutsche und haben im 1. Weltkrieg für Deutschland gekämpft.
Darüber hinaus beherrschten sie nicht unbedingt die Fremdsprachen, die sie für eine Emigration vielleicht als notwendig erachteten.
Es war für uns beunruhigend und bedrückend an einem Ort zu sein, an dem solch schreckliche Dinge passiert sind.
Zu wissen, dass an dem Ort, wo man sich befindet, Menschen gefoltert und getötet wurden, ist ein grausames Gefühl.
Es war für uns aber auch schwierig zu realisieren, dass so etwas wirklich einmal geschehen ist.


 

Von Anne, Dimitra, Efi, Julia und Kerstin


Eindrücke

·        überraschend,  wie nahe beteiligt!

·        mitten in der Region:  Jugendhaus in dem gefoltert wurde, Anwohner , die sich über Schreie beschwert haben, aber das Unrecht nicht verhinderten

·        unscheinbares Gebäude, an dem man vorbeifährt

·        Änderung der Judenpolitik; Zeichen der Zeit erkannt :Englisch gelehrt und Kinder zum Auswandern animiert/ermutigt

·        Gestapogebäude mit „hauseigenem Galgen“ im Garten


Wandel in der Stätte :

·        Vom Hoffnungsvollen zum Tragischen

·        Schule, die Juden „unerwünschte“ handwerkliche Berufe lehrt

·        Schule geschlossen; Gestapogebäude

·        Folter, Verhöre, geplante Morde

·        Sammelplatz für Deportationen

·        zynisch, ehrlos


 

Wahrnehmung  eines schrecklichen Ortes :

(Folter)
 

·        trotz  vergangener Zeit: Kälte,  Angst

·        hautnahes Nachvollziehen

·        Zahlen, kaum fassbar


 

Regionaler Bezug weist auf die Geschichte der Vernichtung, auch vor unserer Haustür

·        nachvollziehbar, dass auch in Hannover /Umgebung die NS-Diktatur präsent ist

·        das Wort „bundesweit“ bekommt andere Dimensionen

·        Einzelschicksale und das große Ganze

·        27 gleiche Nachnamen

·        Systematische Ausrottung

·        Familien „verschwinden“

·        Gründlichkeit; fast paranoider Art

·        Führung  führt das Geschehene besser vor Augen


 

Von Daniel, Björn und Lara

Gartenbauschule:

·        perspektivbildender Ort

·        Ausbildung für Gärtner (neue Hoffnung)

·        Geschichte wird personenbezogen aufgearbeitet und wird dadurch authentischer

·        Geschichte wird regionalbezogen vermittelt, dennoch werden Verweise auf komplexe Zusammenhänge gegeben

·        Bruch in der Zeit (Hoffnung schwindet) , da Schule in ein Außenlager umfunktioniert wird

·        Deportationsort für viele Juden aus der Region Hannover in den Osten  (Riga usw.)

·        es zeigt besonders, dass auch in Orten wie diesen viel Gewalt herrschte (nicht nur in den eigentlichen KZs)

·        Systematik der Gedenkbücher

·        Haus – unscheinbar – geschichtsträchtig

·        könnte ein Wink sein, hinter die Fassaden zu schauen und seine Augen für das vermeintlich Unscheinbare,  aber elementar Wichtige zu öffnen



 

Bestürzung :

·        Dicke Stahltür strahlt Kälte und Ausweglosigkeit aus

·        Schreie drangen bis zur anderen Straßenseite hinüber

·        warum haben Einwohner sich nicht dagegen eingesetzt?

·        Unterdrückung: Gestapo infiltrierte Gesellschaft

·        Hygieneverhältnisse damals: heute kaum vorstellbar

·        Heutzutage sogar Internat in einem Haus mit einem solch erschreckenden Hintergrund untergebracht


 

23.November 2009:

Aktuelle Tagesthemen stehen viel zu häufig auf unserem Programm, wie ich selber finde. Es gibt auch heutzutage noch viel zu viele Anlässe, auf die nationalsozialistischen Organisationen zu schauen, denn sie sind gegenwärtig und eben auch alltäglich. Das hat uns heute Anlass gegeben, eine Diskussion über den Deutschen Nationalstolz und die Neonazis von heute zu führen. Endgültig einig konnten wir uns natürlich nicht werden – ich kann hier nur meine Meinung wiedergeben. Ich persönlich finde nämlich, dass es an der Zeit ist, die Vergangenheit aus der Distanz zu betrachten. Damit meine ich natürlich nicht, alles unter den Teppich kehren zu wollen – niemals! Aber es ist Zeit, zu registrieren, dass etwas Grässliches und vor allem Unwiderrufliches in Deutschland passiert ist, ohne die jüngere Generation, die eine andere ist, schuldig zu sprechen. Wir sind keine Nazis! Und genau aus diesem Grund finde ich es unfair, uns immer noch als solche zu beschimpfen. Ja, wir sind Deutsche und ja, wir teilen eine Vergangenheit, die grausamer nie hätte sein können. Aber es ist genug! Ich finde, wir sollten nicht mehr gegenseitig mit dem Finger auf uns zeigen, sondern gemeinsam die Vergangenheit aufarbeiten und dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen aufgeklärt werden. Das einzige Ziel sollte es doch sein, Ähnliches zu verhindern. Dafür stehe ich – genauso wie viele andere unserer AG – ein.

Anne Voß

 

09.November 2009:

In unserer Schreibwerkstatt haben wir heute die ersten Ideen besprochen. Nachdem wir uns ja wirklich schon ausführlich mit der Zeit, mit der wir uns auseinandersetzen wollen, beschäftigt haben, sind die Ideen sogar schon etwas konkreter ausgefallen. Aber an dieser Stelle möchte ich gar nicht so viel verraten! Freut euch auf Liebesgeschichten, Gedichte und Berichte! Wer weiß: Gibt es ein Happy End? Bleibt uns einfach treu… J

Anne Voß

 

02.November 2009:

Heute haben wir, in Begleitung des Bürgermeisters Herrn Prinz, die „Stolpersteine“ in Gleidingen, Laatzen, besucht. Die Stolpersteine befinden sich auf dem Fußgängerweg gegenüber der Straßenbahngleisen Richtung Gleidingen-Mitte.

Herr Prinz hielt uns einen detaillierten Vortrag über die Geschichte dieser Stolpersteine, welche zur Erinnerung an eine während des Nationalsozialismus ermordeten  jüdischen Familie verlegt wurden.

„Es sollen aber vorrausichtlich noch weitere Stolpersteine hier verlegt werden für die anderen jüdischen Familien, die hier gelebt haben“, so der Bürgermeister.

Auch Frau Fredebold, die einige Wochen zuvor in unserer Schreibwerkstatt einen Vortrag hielt, hat sich für die Verlegung von Stolpersteinen in ihrem Wohnort Rössing zur Erinnerung an das Schicksal jüdischer Mitbürger  eingesetzt.

 Selbstverständlich wollen auch wir, dass weitere Stolpersteine verlegt werden zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Mitbürger, die einst in Gleidingen lebten  und von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Dimitra Dermitzaki

 

26.Oktober 2009:

"Es gibt noch Menschlichkeit"

Am 26.10.2009 hatten wir bei uns in der Schreibwerkstatt Herrn Salomon Finkelstein und Henry Korman zu Besuch. Frau Kruse und Herr Dr. Miersch empfingen unsere Gäste herzlich und hielten jeweils eine kleine Ansprache, wobei sie betonten, dass man ihre Erinnerungen bewahren sollte, damit die Verbrechen der Nazizeit nicht in Vergessenheit gerieten.

Während der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte wurde Herr Finkelstein geboren, der selbst das Vernichtungslager überlebte. Im Jahr 1922 kam Salomon Finkelstein als zweiter Sohn im polnischen Lodz zur Welt. Er verbrachte dort seine Kindheit - "die schönste Zeit in meinem Leben", wie er uns mit einem Lächeln verrät.

17 Jahre später, im Jahr 1939, waren die deutschen Truppen im Anmarsch. Polen wurde von zwei Ländern besetzt: im Westen von Deutschland und im Osten von Russland. "Die SS brachte nur Unglück und Tod."

Damals war die Stadt so groß wie Hannover, ein Drittel der Bevölkerung war jüdisch. Für die Juden gab es viele Verbote: Es war ihnen bei Strafe untersagt, auf dem Bürgersteig zu gehen, oder sich auf eine Parkbank zu setzen. Alle Juden mussten einen "Judenstern" tragen. Später wurden sie in ein Ghetto getrieben, wo sie gefangen waren und vor Hunger starben. "Die Menschen waren so schwach, sie konnten nicht gerade stehen. Wie Schatten stützten sie sich an den Wänden ab. Ein Mensch hat auch Grenzen", betont Herr Finkelstein.

Außerhalb des Ghettos musste man sich zur Arbeit melden, so ist Herr Finkelstein in einen Lastwagen gestiegen und verabschiedete sich von seiner Mutter. "Ich habe sie nie wiedergesehen."

Herr Finkelstein wurde zu Zwangsarbeiten an der Reichsautobahn in der Gegend von Frankfurt an der Oder eingesetzt. Anfangs war er noch zu schwach und wurde daher in den Küchendienst zum Kartoffelschälen abgestellt. Als er sich erholt hatte, ging er zur Arbeit. Seine Aufgabe war es, die Hügel abzutragen, den "Mutterboden", denn so entstand eine Fläche, auf der man schließlich den Asphalt auftragen konnte.

Da es Herrn Finkelstein anfangs noch nicht gelang, den Boden abzutragen, wurde er verprügelt, bis er es schaffte, den „Meister“ zufriedenzustellen. "Man konnte sich anstrengen, wie man wollte: man hat nie Anerkennung bekommen", sagt er traurig.

Salomon Finkelstein wurde von einem Lager in das nächste gebracht. Als er sich am rechten Arm verletzte, trug er ein Paket mit seiner linken Hand und das andere mit dem Mund.

Die Juden wurden in Konzentrationslager gebracht und von dort aus nach Auschwitz. Als Häftling besaß er über 2 Jahre lang keinen Namen, nur die Häftlingsnummer, welche er auf seinen Arm tätowiert bekommen hatte. "Man hatte mir alles abgenommen, geblieben war mir nur meine Würde, mein Familienname."

Seine Eltern hatten kein richtiges Grab bekommen, sondern wurden in einem Massengrab beerdigt. "Ich konnte nicht zum Grab meiner Mutter gehen und sagen: Mama, hilf mir!", beklagt er mit spürbarer Erregung in der Stimme.

In Auschwitz mussten die Häftlinge einzeln nackt vor den gefürchteten deutschen KZ-Arzt Joseph Mengele treten. Die Menschen wurden aussortiert. Nach links wurden diejenigen geschickt, die noch Arbeit leisten konnten, und nach rechts die Kranken und Verletzten. Salomon Finkelstein stand in diesem Augenblick vor dem deutschen Arzt, der sich auch dem Eid des Hippokrates verpflichtet hatte, dass er Menschen kein Leid zufügen würde.

Da Herr Finkelstein zuvor die halbfertigen Bauten gesehen hatte, meldete er sich als Maurer, obwohl ihm jegliche Art von Arbeitserfahrung fehlte. "Ich entwickelte einen 6. Sinn", erinnert er sich lächelnd.

Im Januar 1942 wurde in der Villa am Wannsee "die Endlösung der Judenfrage" beschlossen. Salomon Finkelstein war damit zum Tode verurteilt. "Ich wusste, dass ich lebend nicht herauskommen würde." Man hatte den Häftlingen alles genommen, „auch das letzte bisschen Verstand“. Sie lebten und bewegten sich nun instinktiv wie Tiere.

Zwei Jahre vergingen in Auschwitz. Herr Finkelstein war dort in Baracken untergebracht. Über dem Tor stand die zynische Aufschrift "Arbeit macht frei." Herr Finkelstein sagt: "Es müsste dort stehen: Wenn du dieses Tor betrittst, lass die Hoffnung fahren."

Die Ärzte selektierten die Häftlinge, die Aussortierten wurden nie wieder gesehen.

Auschwitz war ein Synonym dessen, was Menschen Menschen antun können. Mit seinem letzten Sinn dachte Herr Finkelstein noch an eine Rettung.

Auch Kinder kamen nach Auschwitz, die Erinnerung an deren Schicksal berührt ihn am meisten.

Mit einer Mischung aus Spott und Verwunderung erzählt Herr Finkelstein, dass manche Nazis sich für menschlich hielten, wenn sie zuerst der Mutter das Kind aus den Armen rissen und sie danach unverzüglich erschossen, damit diese nicht sehen konnte, wie ihr Kind ebenfalls umgebracht wurde.

Im Januar 1943 wurde Auschwitz Buna - Monowitz aufgelöst. "Sechs Jahre hatte ich unter den Nazis erlitten."

Dann berichtet Herr Finkelstein von dem siebzig Kilometer langen Marsch. Herr Finkelstein war müde und schwach, genauso wie alle anderen Mitmarschierenden auch. Wer zu schwach war, um mitzuhalten und weiterzugehen, wurde erschossen. Die Häftlinge waren in Waggons geladen und hatten zwei bis drei Tage nichts zu trinken und zu essen. Die Hauptsache war, dass die Häftlinge nicht in die Hände der Alliierten gelangen. Herr Finkelstein erinnert sich an einen Moment, als die Tschechoslowaken ihnen aus Mitleid und Brüderlichkeit Brot zuwerfen wollten, die SS jedoch drohte, sie zu erschießen.

Herr Finkelstein wurde ins Lager "Dora" gebracht. Dort freundete er sich mit seinem Mithäftling "Abraham" an. Weiterhin erzählt uns unser Gast von einem bewegenden Moment, als er so schwach war, dass er sich nicht mehr rühren konnte. "Jetzt hat deine letzte Stunde geschlagen", sagte er zu sich selbst. Als er fast schon die Hoffnung aufgegeben hatte, hörte er ein Klopfen am Fenster. Mit seiner letzten Kraft schlich er dorthin, wo sein Freund Abraham stand. "Salek", sagte dieser, "Ich habe dir eine Kartoffel mitgebracht." Da wusste Herr Finkelstein: "Es gibt doch noch Menschlichkeit." Bis zur Auflösung des Lagers arbeiteten sie im Tunnel.

Nach 38 Jahren erfuhr Salomon Finkelstein, dass sein jüngerer Bruder den Krieg überlebt hat und in Israel ein Kibutz gegründet hat. Als dieser ihn anrief, ist Herr Finkelstein in Ohnmacht gefallen. Sofort informierte er seine Tochter, die ihn spontan nach Israel begleitete. Dort sah er jenen geliebten Bruder wieder, den er verließ, als er noch ein Kind war.

"Wir bleiben immer verbunden, denn was uns verbindet, ist die gemeinsam verbrachte Kindheit, die in Erinnerung geblieben ist."

Herr Finkelstein bekam jedoch auch eine schockierende Nachricht, als er erfuhr, dass ein weiterer, drei Jahre älterer Bruder ebenfalls überlebt hatte, aber bereits 1996 gestorben war, ohne zu wissen, dass Salek überlebt hatte! Sie lebten die ganzen Jahre über nur drei Flugstunden voneinander entfernt, und keiner von beiden wusste, dass der andere noch am Leben war. "Einzelschicksale sagen mehr als Statistiken", mit diesem Satz schließt Salomon Finkelstein seine Erzählung ab.

Wir werden Herrn Finkelstein und Herrn Korman bald um einem weiteren Besuch in unsere kleine Schreibwerkstatt bitten, da Herrn Finkelsteins Erzählung sehr detailliert, informativ und auch berührend für uns war und wir noch weitere Einblicke in das Leben unter der nationalsozialistischen Diktatur gewinnen wollen. Das nächste Mal wird dann Henry Korman über seine Erlebnisse während der Nazidiktatur sprechen.

Efi Dermitzaki und Dimitra Dermitzaki

          


26.Oktober 2009:

Schülerprojekt "Schreiben gegen das Vergessen": Zeitzeugen erinnern an den Holocaust

Teilweise mit Tränen in den Augen lauschten die anwesenden Schüler den Schilderungen von Finkelstein und Korman, die anhand ihrer eigenen Schicksale die Geschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich zum sprechen brachten.

Hier der vollständige Bericht: www.matthias-miersch.de



19.Oktober 2009:

Während des heutigen Projekttreffens haben wir das Zeitzeugengespräch mit den beiden Holocaustüberlebenden Salomon Finkelstein und Henry Korman vorbereitet, das am nächsten Montag stattfinden soll.

Nachdem wir uns einige Fragen überlegt haben, die wir unseren Gästen stellen möchten, haben wir den nächsten Teil der von Roman Polanski verfilmten Autobiografie des Pianisten Wladyslaw Szpilman "Der Pianist – mein wunderbares Überleben" gesehen.

Der Film zeigt sehr eindrucksvoll das Leben der Juden im Warschauer Ghetto und wie bestialisch und grausam die Juden von den Nazis behandelt wurden.

Da Salomon Finkelstein mit Wladyslaw Szpilman befreundet war und dieser mehrmals in Hannover war, berührt der Film auf besondere Weise.

In der nächsten Projektstunde wollen wir in dem Gespräch auch mehr über den Pianisten und seine Verbindung zu Salomon Finkelstein erfahren.


 

28. September 2009:

Mit etwas dezimierter Zahl haben wir die heutige Stunde genutzt, um uns einen Film anzusehen, der wunderbar zu unserem Hauptthema passt: Der Pianist. Die Verfilmung des autobiografischen Romans "Der Pianist – mein wunderbares Überleben" von Władysław Szpilman erzählt die Geschichte seines Entkommens zur Zeit der Besetzung Polens durch die Nationalsozialisten. Als angesehener Pianist muss er sich wahrlich umstellen, als er und seine Familie ins Warschauer Ghetto ziehen müssen. Sein Alltag ist ein völlig anderer, doch wie es weitergehen wird, konnten wir uns noch nicht ansehen. FORTSETZUNG WIRD FOLGEN!

Anne Voß
 




 

21. September 2009:

Die Zeitzeugin Helga Fredebold berichtet von den Kriegsjahren in Hannover

 Am Montag, den 21.9.09 war Frau Fredebold, eine Zeitzeugin des zweiten Weltkriegs in unserer Schreibwerkstatt in der Albert-Einstein-Schule in Laatzen zu Besuch. Helga Fredebold hat u. a. das Buch „Geschichte und Geschichten aus Rössing “ geschrieben und veröffentlicht, in dem sie den Spuren der jüdischen Familie Blumenthal nachgegangen ist. Sie erzählte uns über ihre Kindheit vor dem Krieg und ihre Jugend während des Kriegs, wofür sie ganze zwei Schulstunden Zeit hatte, welche sie dann auch nutzte. Selbstverständlich hatten wir die Gelegenheit Fragen zu stellen, aber das erübrigte sich größtenteils, da Frau Fredebold den Verlauf der miterlebten Ereignisse so schilderte und erzählte, dass viele unserer Fragen automatisch beantwortet wurden.

Frau Fredebold wurde 1926 in Hannover geboren. Unser Gast erzählte uns dann auch von ihrer Kindheit in ihrer Geburtsstadt. Sie ging in Hannover zur Schule und war auch Mitglied des BDM (Bund Deutscher Mädchen). Sie selbst hatte nicht viele jüdische Bekannte oder Freunde; nur zwei Nachbarinnen und zugleich Spielkameradinnen, die für sie den gleichen Stellenwert wie die anderen Mädchen hatten.

Nach der Schulzeit vernachlässigte sie ihre Pflichtteilnahme an den Treffen des BDM. Durch die Hilfe, die sie als Pflichtjahrmädchen (alle Mädchen, auch Abiturientinnen, mussten ein Haushalts-Pflichtjahr oder ein halbes Jahr weiblichen RAD, Reichsarbeitsdienst, ableisten) im Haushalt und Geschäft leisten musste, hatte sie keine Zeit dafür – und auch nicht immer Lust. Während des Kriegs besuchte sie die Chemieschule in Hannover. Nach dem Ende der Ausbildung war allerdings auch der Krieg zu Ende; sonst hätte sie wieder dem BDM beitreten müssen, da die Mitgliedschaft in einer Organisation Pflicht war. Wer über einen langen Zeitraum nicht zum Dienst erschien, musste gute Gründe für sein Fehlen angeben, da schließlich nachgefragt wurde. Diesen Job hatten meist die Führer der einzelnen Gruppen, und auch Frau Fredebold ging eine Zeitlang dieser Tätigkeit nach. Alle Anwesenden durften sich ihr Leistungsbuch des BDM und ein Fotoalbum mit Bildern der damaligen Zeit von Familie und Freunden ansehen.

Frau Fredebold erzählte auch, dass die Hochschulausbildung der Frauen nicht gefördert wurde. Sie durften zwar Jura studieren, nur nicht als Richter oder Anwälte arbeiten. Auch das Medizinstudium war nicht verboten. Nur durch das lange Studium, das noch durch Haushaltsjahr usw. verzögert wurde, erreichten wenige das Ziel.

Wegen der vielen Luftangriffe, bei denen Flugzeuge mehr als viele 1000 Brand- und Sprengbomben über Hannover fallen ließen, gab es einen Voralarm, der allen Bürgern bekannt war, und der sie sozusagen zur Vorbereitung ihres Rückzuges in Kellerräume oder Luftschutzbunker antrieb. Etwas später ertönte dann der Hauptalarm, bei dem sie dann augenblicklich ihre Wohnungen verlassen mussten. Frau Fredebold bekam selbst weit nach dem Kriegsende noch Angst, sobald sie ein Flugzeug oder einen Hubschrauber hörte. Die vielen Luftangriffe hatten sie traumatisiert.

Das Kriegsende war, trotz der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, für die Menschen eher erleichternd und tröstlich. Die Menschen konnten endlich wieder ohne Angst schlafen, aber es herrschte große Hungersnot.

Zur Pogromnacht befragt, berichtete Frau Fredebold, dass viele Fenster von jüdischen Geschäften eingeschlagen und Schilder aufgehängt wurden, auf denen stand: "Wer beim Juden kauft, ist Landsverräter", welche die Leute vom Kauf in besagten Geschäften abhielten und die Stigmatisierung der Juden förderte.

Genauso wie wir heute, fragte sich Frau Fredebold, wie es zu solch einem Volkshass kommen konnte. Durch Recherchen in Archiven und Geschichtsbüchern versuchte sie eine Antwort auf diese Frage zu finden. Auf diese Weise fand sie eine Menge heraus, was zur Aufklärung der Entstehung dieses Hasses den Juden gegenüber führte.

Schon im Mittelalter hatten die Juden in Deutschland kein volles Bürgerrecht. Sie mussten sich mit Geld ihre Rechte erkaufen. Sie durften keinen Grundbesitz haben, selbst ein Garten war verboten. Außerdem durften sie keine Handwerksberufe erlernen, so wandten sie sich anderen Berufen zu, wie z.B. dem Beruf des Arztes oder des Rechtsanwaltes. Viele Juden fanden ihre Berufung in Kunst und Architektur. Ihre Berufe hatten viel mit Handel und Geldgeschäften zu tun. Da die Christen keine Zinsen nehmen durften, übernahmen die Juden die Arbeit des Bankiers. Wer sich also auf diese Weise mit Logik und Verstand gut anpassen konnte, konnte sich auch durchsetzen. Mit den Jahren schafften es ziemlich viele Juden Wohlstand zu erwerben.

*1) Frau Fredebold ergänzt und korrigiert hier:
Ich möchte bemerken, dass die Judengesetzgebung in den vielen kleinen und größeren Fürstentümern, aus denen Deutschland bestand, durchaus unterschiedlich war. Meine Forschungen beschränkten sich nur auf das Kurfürstentum und spätere (seit 1814) Königreich  Hannover, was etwa dem heutigen Niedersachsen entspricht, nicht auf  ganz Deutschland.

Frau Fredebold erinnerte sich, dass Hitler seine Absichten gegen die Juden laut verkündete. Er versteckte nie seinen Hass und seine Vorhaben vor der Öffentlichkeit. Das warf bei uns Zuhörern natürlich die Frage auf, warum dann niemand darauf reagierte und versuchte, ihn davon abzuhalten. Frau Fredebold berichtete, dass das Volk und die Wähler keine Ahnung hatten, dass Hitler einen Krieg beginnen wollte, und die Ankündigungen seiner Absichten, vor allem die Judenverfolgung, wohl niemand wirklich geglaubt hatte.

Langsam bewegten wir uns auf das Thema "KZ" (Konzentrationslager) zu, wo wir mit Überraschung Frau Fredebolds Erzählung zuhörten, dass das Volk anfangs überhaupt keine Ahnung hatte, dass es die KZs überhaupt gab; es wurde alles geheim gehalten, und die Menschen, die etwas darüber erfuhren, behielten es für sich. Als nach Kriegsende die Konzentrationslager befreit wurden, reagierte das Volk mit Angst und Entsetzen versetzt. Sie konnten es nicht glauben, konnten sich dafür aber die Fragen, die sie sich gestellt hatten, wo die verschwundenen Juden denn alle hin waren, selbst beantworten. Man hatte ihnen erzählt, dass sie in Arbeitslager geschickt worden waren, doch nach der Kenntnis über die KZs, wussten sie mit Sicherheit, was mit den Juden in den Konzentrationslager geschehen war. Frau Fredebold war über ihre Erzählung eines kleinen jüdischen Mädchens, welches sie gut kannte, und welches noch im Kindesalter im KZ umkam, selbst nach all den Jahren so erschüttert, dass sie in Tränen ausbrach, und ich selbst war sehr nah dran, es ihr gleichzutun.

*2) Frau Fredebold korrigiert und ergänzt den vorhergehenden Abschnitt:
Wir haben sehr wohl von den KZs gewusst. Das erste wurde schon im März 1933 von Himmler eingerichtet (in Dachau). Aber sie galten als Umerziehungslager für politisch Unzuverlässige. Wovon wir NICHTS wussten, waren die TODESLAGER. Die Massenmorde an den Juden begannen erst während des Krieges und die Vernichtungslager waren auch nicht auf deutschem Boden,  sondern in der Tschechei und in Polen. Auch Bergen-Belsen war kein Vernichtungslager. Als die Siegermächte auf deutschem Boden waren, wurden die Juden dort zusammengetrieben und verelendeten, verhungerten und starben dort, weil keinerlei Infrastruktur für diese vielen Menschen vorhanden war. Grausam genug, aber ein Vernichtungslager in dem eigentlichen Sinne war es nicht.

Selbst Deutsche, die sich weigerten zu politischen Versammlungen zu gehen, oder etwas gegen die aktuelle Politik in der Öffentlichkeit sagten, wurden ins KZ geschickt. Es gab keine anderen Parteien, also auch keine verschiedenen Meinungen, und somit auch kaum öffentlichen Widerstand gegen die Partei, die regierte; es herrschte also eine Diktatur. Nur wenige leisteten Widerstand, da es natürlich für die Widerständler gefährlich war.

Frau Fredebolds Besuch und ihre informativen Erzählungen haben uns allen einen sehr realistischen Einblick zur Lebenslage in den Jahren um den zweiten Weltkrieg geboten. Wie schon erwähnt, wurden viele unserer Fragen detailliert beantwortet und geklärt. Es war sehr spannend, Frau Fredebolds Sicht der damaligen Ereignisse zuzuhören, vor allem weil wir vieles erfahren haben, was wir noch nicht wussten, und wir alle aus der AG "Schreiben gegen das Vergessen", unsere Lehrer und Leiter eingeschlossen, sind uns einig, dass wir Frau Fredebold bei Gelegenheit um einen weiteren Besuch bitten werden.

Dieser Bericht wurde von Helga Fredebold autorisiert. Drei ergänzende Anmerkungen wurden dem Bericht hinzugefügt: *1) und *2) und *3).


*3) Noch eine kleine, tröstliche Story zum Schluss. Es gab auch noch Menschen, die Schneid hatten.
Mein Schwiegervater war Major und Ritterkreuzträger. Als er während eines Fronturlaubs erfuhr, dass einer seiner Werkmeister (er war 40 Jahre Direktor bei C:A.Schäfer, einer Firma, die es heute nicht mehr gibt), wegen Abhörens von Feindsendern ins KZ gekommen war, ging er in voller Montur mit Orden und Ehrenzeichen angetan zum hannoverschen Gauleiter Hartmann Lauterbacher und erwirkte tatsächlich die Freilassung des Mannes. Das hätte auch schiefgehen können.

Wir danken Frau Fredebold für das Gegenlesen des Berichts und die Anmerkungen!

Zu dieser Veranstaltung finden sich in der Fotogalerie einige Aufnahmen.

Dimitra Dermitzaki



14. September 2009:

Das heutige Projekttreffen galt der Vorbereitung der nächsten Projektstunde, in der Helga Fredebold über ihre Kindheit und Jugendzeit während des Nationalsozialismus in Hannover sprechen wird sowie über ihre Publikation "Geschichte und Geschichten aus Rössing", in der sie unter anderem den Spuren der jüdischen Familie Blumenthal nachgegangen ist.Wir haben Fragen erarbeitet, die wir in vier Abschnitte aufgeteilt haben.
 

1. Kindheit und Jugendzeit in Hannover während der Kriegsjahre
2. Kriegsende
3. Wendepunkt
4. Zeit in Rössing, Fragen zur Familie Blumenthal



07. September 2009:

Der heutige Montag diente der Vorstellung bereits erzielter Ergebnisse und des Weiteren lasen wir ein paar Eindrücke aus Petr Ginz’ Tagebuch. Begonnen wurde die Stunde mit dem Buchreferat von Anne Voß über das Tagebuch des Petr Ginz. Sie stellte uns das Leben des Juden auf eine anschauliche Weise dar, so dass keiner von sich behaupten konnte, nicht berührt von der Sichtweise des hochtalentierten und damals Minderjährigen Petr Ginz gewesen zu sein. Anerkennung für seinen Schreibstil in dem Alter hielt jeder für angebracht. Außerdem stellte Svenja Fischer den Anfang ihres Textes „ Der Schnee trägt rote Mützen“ vor. Nach einem Gespräch mit ihrer Großmutter fasste sie den Entschluss, diese Geschichte auf Papier festzuhalten. Eine richtige Entscheidung, wie die Resonanz zeigte. Zu guter Letzt befassten wir uns mit einigen wenigen von Ginz’ Tagebucheinträgen. In einer seiner Erzählungen in der er von der Glühbirne schreibt, die die Mücken in den Tod zieht, wurde unter anderem eine Anspielung  auf den Nationalsozialismus gesehen.
 

M.S.


31. August 2009:

Nachdem der Artikel in den Leine-Nachrichten bereits einiges Interesse bei Lesern geweckt hat, haben wir nun noch eine weitere Chance bekommen, mit einer Zeitzeugin zu sprechen. Neben Salomon Finkelstein und Henry Korman, die sich bereits für ein Zeitzeugengespräch zur Verfügung gestellt hatten, hat sich eine Frau gemeldet, die den zweiten Weltkrieg als Mädchen und junge Frau in Hannover miterlebt hat. So haben wir die Möglichkeit, die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik von einer nichtjüdischen Zeitzeugin zu hören und aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten. Lange werden wir die Möglichkeit nicht mehr haben, mit Zeitzeugen zu sprechen und so sollten wir diese letzte Chance jetzt noch ergreifen, das ist uns allen sehr wichtig! So haben wir uns diese Woche auch weiter mit dem Thema befasst, sind Bücher durchgegangen, die die Geschichte von Menschen erzählen, die eine unfassbare Vergangenheit teilen. Tagebücher, Echtzeitberichte und Sachtexte – möglichst viel soll uns schließlich darauf vorbereiten, etwas Eigenes zu diesem Thema zu verfassen. So haben wir uns heute gegenseitig aus dem Buch „Prager Tagebuch“ von Petr Ginz vorgelesen, um uns ein Bild über diese Zeit zu machen. Mal sehen, wie es weitergeht, wenn wir mit den Zeitzeugen gesprochen haben …

Anne Voß




Foto: Susann Reichert
 


24. August 2009:

Das Projekt geht an den Start

Nun geht das Projekt „Schreiben gegen das Vergessen“ an die Startlinie: das erste Treffen dieser Arbeitsgemeinschaft an der Albert-Einstein-Schule Laatzen hat bereits einige Interessenten auf den Plan gerufen. Schon bei unserem ersten Treffen haben wir Besuch von einer Redakteurin der HAZ- Leine-Nachrichten bekommen, die gleich am nächsten Tag einen sehr interessanten Artikel über uns ge­bracht hat. Ein guter Start und es ist auch schon so einiges in Planung. Nachdem uns die Laatzener Schriftstellerin Corinna Luedtke das Konzept dieser Projekt-AG vorgestellt hat, haben wir direkt Wünsche äußern können, inwiefern wir das Projekt gerne mitgestalten möchten. Möglich ist ein Berlinbesuch, bei dem wir uns über das Judentum informieren können. Ebenso ein Besuch in Gleidingen, der uns erlaubt, das Projekt der „Stolpersteine“ für unser eigenes zu nutzen und zusätzlich den Gedenkstein der ehemaligen Synagoge zu besuchen. Noch viel, viel mehr kann nach unseren Vorstellungen hinzukommen. Doch als nächstes ist uns allen erst mal wichtig, dass wir dem Namen unseres Projekts auch gerecht werden und dafür sorgen, dass die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nicht vergessen wird! Wie wir das letztendlich gestalten, ist ganz uns überlassen und das ist wohl auch der Charme dieses Projekts. Wer möchte sich denn spannenden Kurzgeschichten, fesselnden Romanen oder mitreißenden Gedichten entziehen, die alle das eine zum Thema haben, nämlich nie die Zivilcourage zu vergessen?! Keiner, möchte ich antworten und so freuen sich auch alle auf die Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema mit der professionellen Unterstützung von Corinna Luedtke, die uns heute auch schon an einem ihres noch unvollständigen Literatur-Projekts hat teilhaben lassen. Mal sehen, was erst auf uns zukommt, wenn wir unsere eigenen Projekte den anderen vorstellen können …

Anne Voß